Wie Achtsamkeit für Mamas nicht zur Selbstoptimierung wird
Einfach ein bisschen meditieren und der Stress ist vorbei? Schön wär´s!
Wie Eltern Achtsamkeitspraxis zum Stressabbau in ihren Alltag integrieren können, ohne daraus einen neuen Stressfaktor zu machen, darüber spreche ich mit Psychologin und Familienbegleiterin Anna Schmitz.
Stefanie: Anna, kannst du uns mal erklären: Was ist Achtsamkeit NICHT?
Anna: (lacht) Es soll kein weiteres To-do sein – kein weiteres Ding auf der Liste, die man noch on top machen muss. Im Idealfall kann man Achtsamkeit wirklich in seine ganz normalen Alltagstätigkeiten einbauen.
Bei Achtsamkeit geht es darum, dass man versucht, wirklich den Moment, der gerade ist, bewusst wahrzunehmen, nicht in die Zukunft oder die Vergangenheit abzuschweifen. Dafür braucht man nicht zu meditieren, dafür braucht man keine Räucherstäbchen.
Man kann das in allen möglichen Alltagstätigkeiten machen, beim Wäschefalten, beim Baby in den Schlaf begleiten, beim Spazierengehen, beim Essen, Trinken …
Es muss keine bestimmten Rituale umfassen, sondern man kann das wirklich an sich anpassen. Achtsamkeit ist eine Grundhaltung.
Das ganze Interview als Video:
Stefanie: Warum ist Achtsamkeit so sinnvoll für Eltern?
Anna: Nehmen wir mal die Situation Essen zubereiten. Da geht uns so einiges durch den Kopf: Ich muss noch daran denken, dies oder jenes in den Griff bekommen. Isst mein Kind das jetzt überhaupt? Was könnte jetzt gleich passieren?
Oder mir geht eine Situation mit meinem Kind durch den Kopf, in der ich vielleicht nicht so reagiert habe, wie ich mir das wünsche.
Man ist in Gedanken und mit seinem Gefühl gar nicht mehr bei sich, eher in der Zukunft. Und das löst alles Stress, Ängste und richtige Grübelschleifen aus.
Achtsamkeit trainiert unser Gehirn, dass genau das nicht so schnell passiert.
Wir brauchen einfach auch mal Zeiten, wo wir ganz bewusst langsamer machen, vielleicht auch und ganz bewusst wahrnehmen, einfach, was gerade ist.
Das bedeutet nicht, dass es immer schön ist, aber dass man lernt, zu akzeptieren und wahrzunehmen, was gerade im Moment passiert. Die Herausforderung ist dann, zu versuchen dem Impuls nicht sofort nachzugeben, gleich wieder loszurennen. Für Mütter kann das sehr schwierig sein.
Stefanie: Welche Rolle spielt die Atmung beim Thema Achtsamkeit?
Anna: Achtsames Wahrnehmen von ganz normalen Alltagstätigkeiten ist ja nur eine Möglichkeit. Es gibt auch Atemtechniken, bei denen man versucht, länger auszuatmen als einzuatmen. Das signalisiert dem Körper und unserem Nervensystem: Hey, es ist gerade alles in Ordnung, du bist in Sicherheit. Du kannst dich entspannen.
"Eltern werden ja oft Traumreisen oder Meditation empfohlen. Aber mir hilft im Alltag mit Kindern vor allem das Singen."
Stephanie, Mutter von zwei Kindern
Stefanie: Wie wirkt Achtsamkeit und Selbstfürsorge auf unser Familienleben?
Anna: Für eine zwischenmenschliche Beziehung und auch einfach für unser Leben ist es total wichtig, dass wir gut mit unseren Emotionen umgehen können und ausgeglichen sind. Dann können wir auch erst die Gefühle von unseren Kindern begleiten – das ist etwas, was uns oft anstrengt und ganz schön viel Energie zieht.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie mein Kind als Baby lange am Stück geschrien hat. Man fühlt sich hilflos. Man weiß nicht genau, was man machen, wie man seinem Kind helfen kann. Man bekommt vielleicht auch Angst, dass etwas nicht stimmt. Man wird vielleicht irgendwann wütend, weil es einfach nicht aufhört.
In dem Moment ist es unfassbar wichtig, dass ich es schaffe, mich wieder runter zu regulieren, und erstmal erkenne:
Ich werde gerade wütend oder fühle mich super hilflos. Und mir dann auch sagen zu können: es ist alles okay, ich bin in Sicherheit, ich atme tief durch. Ein ganz normales Gefühl. So geht es ganz, ganz vielen Menschen in so einer Situation.
Im Idealfall kann man dann noch so reagieren, wie man es gerne möchte: Ich lege das Baby kurz ab, beruhige mich erstmal selbst und kann dann auch wieder für mein Kind da sein. Für Eltern ist das eine wichtige Fähigkeit, die wir auch an unsere Kinder weitergeben.
Stefanie: Ist Achtsamkeit für Mamas dann eigentlich doch verpackte Selbstoptimierung?
Anna: Natürlich gibt es Punkte, wo es schwammig wird und wo es verschiedene Ziele auf einmal gibt. Dann mache ich das einerseits für mich, aber auch, um eine bessere Mutter für mein Kind zu sein.
Wichtig finde ich aber: Es ist okay etwas zu machen, damit man sich selber gut fühlt. Wir dürfen diesen Glaubenssatz aufgeben, dass man als Mutter nur noch für sein Kind auf der Welt ist.
Natürlich sind unsere Kinder extrem abhängig von uns und natürlich müssen wir am Anfang unsere Bedürfnisse zurückstecken und langsam gucken, wo ich für mich wieder Raum finden kann.
Und dann geht es mir auch noch um etwas anderes: Ich möchte ja gerne mit meinem Kind richtig in Kontakt treten. Ich möchte, dass mein Kind weiß, wer ich bin, was ich mag und was nicht, meine Hobbys, meine Musik, was mir gefällt und was mir Spaß macht.
Ich möchte nicht, dass mein Kind denkt, ich sei nur eine Bedürfniserfüllungsmaschine. Der Begriff kommt von Nora Imlau aus dem Buch „Bindung ohne Burnout“. Da wird nochmals sehr deutlich, wie wichtig es ist, gerade im Kontext von bindungsorientierter Erziehung die Selbstfürsorge nicht aus den Augen zu verlieren.
Die Frage ist nur: Was ist Selbstfürsorge?
Stefanie: Wie kann ich denn Achtsamkeit und Selbstfürsorge noch üben, was kann das noch sein?
Anna: Um aus unserem Gedankenkarussell auszusteigen, ist auch unser Körper ein super Weg. Wenn wir unsere Sinne aktivieren, dann sind wir immer im Hier und Jetzt. Wenn wir wirklich versuchen, bewusst zu schmecken, zu riechen, zu hören, dann holt uns das in den Moment.
Beim Stillen oder beim Füttern kann man versuchen, einfach mal bewusst Dinge wahrzunehmen. Was höre ich denn, was fühle ich, wie ist vielleicht auch die Konsistenz des Essens, die Temperatur des Löffels?
Ganz einfache Dinge. Das wird auch informelles Üben genannt – im Gegensatz zu den formalen Übungen, bei denen man dann klassischerweise meditiert.
Eigentlich sendet unser Körper ganz viele Signale, was wir gerade brauchen. So lernen wir, sie wieder mehr zu spüren.
"Die Musik hat mir geholfen, aus Erziehungsmustern auszubrechen, die mir nicht gefallen."
Sofie, Mutter von zwei Kindern
Stefanie: Was ist also der Unterschied zwischen Selbstoptimierung und Selbstfürsorge?
Anna: Ich glaube es geht darum, nicht so streng mit uns zu sein. In Richtung Selbstoptimierung rutscht es dann, wenn wir das Gefühl haben, wir hasten Dingen hinterher, die uns irgendwer empfohlen hat.
Dabei geht es wirklich darum, zu spüren, was uns guttut. Und das kann heute Netflix sein, morgen eher Bewegung und am nächsten Tag das Telefonat mit einer Freundin.
Anna Schmitz ist Psychologin und berät Familien rund um die Themen Selbstfürsorge, Krisen und Herausforderungen von der Schwangerschaft bis hin zur Kleinkindzeit.
Ihr findet sie unter www.annaschmitz.de und auf Instagram unter @annaschmitzde
Ich bin Stefanie
Als Diplom-Musikpädagogin begleite ich Eltern nach meinem Musilienz-Ansatz dabei, ihre eigene musikalische Begabung = Wahrnehmung zu entwickeln, Musik zu ihrer Kraft- und Balancequelle im Alltag zu machen und musikalische Ausgeglichenheit an ihre Kinder weiterzugeben. Mehr zu meiner Arbeit …